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Klimaausgleichsprojekte

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Privatleute, Unternehmen und Organisationen können Treibhausgasemissionen (THG), die sie nicht vermeiden oder reduzieren können, mit dem Aufkauf von CO2-Zertifikaten oder der Finanzierung von Klimaschutzprojekten freiwillig ausgleichen. So können Unternehmen, Produkte oder Dienstleistungen klimaneutral oder – im Fall der Überkompensation – sogar klimapositiv werden. Diese Projekte sind jedoch umstritten – unter anderem wegen potenzieller Doppelzählungen mit staatlichen Minderungsmaßnahmen im Zuge des Pariser Klimaabkommens.

Globale Aktivitäten

Dem Sechsten IPCC-Sachstandsbericht (Teil lll) zufolge lässt sich die Erderwärmung nur noch auf 2 Grad Celsius begrenzen, wenn die THG-Emissionen global spätestens 2025 ihren Höchststand erreicht haben und danach bis 2030 um mindestens ein Viertel reduziert werden. Zudem muss mindestens ab den frühen 2070er Jahren weltweit klimaneutral gewirtschaftet werden.

Da die Erderwärmung nicht allein aus der Emission von Kohlendioxid, sondern 6 weiteren klimaschädlichen Gasen herrührt, stellen dieser Text und die meisten Klimaausgleichsprojekte auf THG-Emissionen beziehungsweise CO2-Äquivalente ab. Für Letzteres werden alle THG-Emissionen einer Aktivität erfasst und in CO2 umgerechnet.

Quelle: Umweltbundesamt; Freiwillige CO2-Kompensation durch Klimaschutzprojekte; S. 8

Die Treibhausgase verteilen sich gleichmäßig in der Atmosphäre. Daher ist es für den Klimaschutz egal, wo Emissionen erzeugt, gemindert oder kompensiert werden. Wichtig ist nur, dass das Klimaausgleichsprojekt zumindest die gleiche Menge an CO2-Äquivalenten aus der Atmosphäre bindet oder verhindert, wie verursacht wurden. Der Ausgleich findet über den Kauf von Zertifikaten für die Kompensation oder die unmittelbare Finanzierung von zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen statt.

Ökonomisch sinnvoll ist es, dort einzusparen, wo die Kosten je kompensiertem CO2-Äquivalent am niedrigsten sind. Deshalb sind viele der Kompensationsprojekte in den Ländern des globalen Südens angesiedelt. Als Kompensation gilt ein Ausgleich nur, wenn er außerhalb der Wertschöpfung des Unternehmens stattfindet. Für Versicherer heißt das: keine Verrechnung mit Kapitalanlagen oder mit Emissionen von Versicherungsnehmern.

Bilanzieren und investieren

Seit der Jahrtausendwende haben sich etliche Anbieter von Kompensationszahlungen mit unterschiedlichen Geschäftsschwerpunkten etabliert. Einige bieten die komplette Beratung und Umsetzung von Klimaschutzstrategien an, andere beschränken sich auf die klimaneutrale Kompensation einer konkreten Aktivität – zumeist für Flugreisen, die ohnehin die Pioniere der Kompensation waren. Viele Fluggesellschaften ermöglichen auch im Rahmen der Buchung einen freiwilligen CO2-Ausgleich bei einer Klimaschutzorganisation, mit der sie im Regelfall kooperieren.

Üblicherweise beginnt ein Kompensationsprojekt mit der Berechnung des CO2-Äquivalents einer (Geschäfts-)Aktivität. Für diese zu kompensierende THG-Menge wird beim Kompensationsdienstleister ein Verschmutzungsrecht (auch Zertifikat oder Kompensationsbeitrag genannt) gekauft. Dieser investiert den Betrag in ein Klimaausgleichsprojekt, das dieselbe Menge CO2 aus der Atmosphäre nimmt. Handelt es sich dabei um eine gemeinnützige Organisation, was bei den meisten in Deutschland agierenden Anbietern der Fall ist, ist der Aufwand in bestimmten Grenzen sogar steuerabzugsfähig.

Die Art der Kompensationsprojekte lässt grob einteilen in:

Energieprojekte:

  • Förderung erneuerbarer Energien (z.B. der Bau von Windenergie- und Solarkraftwerken)
  • Steigerung der Energieeffizienz (z.B. effizientere Öfen oder verbesserte Müllverwertung in Entwicklungsländern)
  • Brennstoffwechsel

Laut Umweltbundesamt betreffen 36 % aller Projekte erneuerbare Energien, 19 % den zweiten und 2 % den dritten Punkt.

Projekte zur Reduzierung oder Einbindung von Kohlendioxid:

  • Landwirtschaft
  • Wälder und Forstwirtschaft
  • Wiedervernässung von Mooren

Hier nennt das Umweltbundesamt Quoten von jeweils 17 % für die ersten beiden Punkte und weniger als ein Prozent für die Moorprojekte.

Projekte zur Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung

  • vermiedene Entwaldung

Auch als „REDD“ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) abgekürzte Projekte entfallen 4 %.

Darüber hinaus kommen Projekte zur Emissionsminderung (Abfall/Deponiegas, Industrie sowie Transport) auf weitere 4 %.

 Standards als Gütesiegel

„Es sind relativ viele Schrott-Zertifikate auf dem Markt, die keine tatsächliche Klimawirkung belegen können und somit reines Greenwashing betreiben. Das liegt vor allem daran, dass der Markt der freiwilligen CO2-Kompensation völlig unreguliert ist“, kritisiert die Stiftung WWF Deutschland.

Nichtstaatliche Organisationen wollen mit Standards garantieren, dass die Emissionen tatsächlich ausgeglichen werden. Es gibt inzwischen eine Reihe dieser Regelwerke mit unterschiedlicher Ausrichtung und Qualität. Die EU-Kommission arbeitet noch an einem Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Projekten, um damit den freiwilligen CO2-Markt zu regulieren.

Klimaschutzprojekte sollten zumindest diese Hauptkriterien (siehe auch: Die Kritik) erfüllen:

  • Zusätzlichkeit,
  • Dauerhaftigkeit,
  • keine Doppelzählungen und
  • regelmäßige unabhängige Überprüfung durch Auditoren.

Die aus deutscher Sicht am häufigsten verwendeten internationalen Standards sind:

  • der Gold Standard: 2003 vom WWF und anderen internationalen Nichtregierungsorganisationen als Best-Practice-Standard entwickelt. Zertifiziert werden nur Projekte, die in den Ausbau erneuerbarer Energien und/oder in die Förderung von Energieeffizienz investieren. Zusätzlich müssen über die Emissionsreduzierung hinaus sinnvolle Vorteile für die nachhaltige Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 erzielt werden. Der Gold Standard wird anhand der ISEAL-Codes of Good Practice „Die Zertifizierung nach dem Gold Standard bietet die Gewissheit, dass diese Ergebnisse gemessen und überprüft werden und ermöglicht eine glaubwürdige Berichterstattung über die Auswirkungen“, so das Umweltbundesamt.
  • der Clean Development Mechanism (CDM): Es ist das erste globale Umweltinvestitions- und -gutschriftensystem, das ein standardisiertes Instrument zum Emissionsausgleich, (CER; Certified Emissions Reduction) bereitstellt. CER entsprechen jeweils einer Tonne CO2 und können auf die Erfüllung der Kyoto-Ziele angerechnet werden. Dieser auf der Grundlage des Kyoto-Protokolls entstandene Standard soll Industrieländer unterstützen, ihre Verpflichtungen zur Reduktion von Emissionen zu erfüllen und zugleich Entwicklungsländern zu einer nachhaltigen Entwicklung zu verhelfen. Die Prüfkriterien wurden von den Vereinten Nationen festgelegt. Jedes Klimaschutzprojekt wird vom CDM-Exekutivrat, einer Behörde der Vereinten Nationen, kontrolliert.
  • Verified Carbon Standard (VCS): 2005 von Investmentberatungsunternehmen als Qualitätsstandard für die Abwicklung und Entwicklung von Emissionsgutschriften außerhalb des Kyoto-Protokolls gegründet und inzwischen in eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation umgewandelt. Die Zertifikate für Projekte mit dem VCS-Standard heißen VER (Verified/Voluntary Emissions Reductions). Die von externen Sachverständigen geprüften Projekte sind auf die CO2-Reduktion ausgerichtet und arbeiten auf Basis des Greenhouse Gas Protocol. Es gibt ein Register, das unter anderem über alle zertifizierten Projekte sowie alle ausgestellten und alle stillgelegten Zertifikate informiert. Das VCS-Programm wurde von der International Carbon Reduction and Offset Alliance (ICROA) anerkannt und entspricht dem ICROA Code of Best Practice.

Die 2018 vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung initiierte Allianz für Entwicklung und Klima möchte dazu motivieren, nur Projekte zur Kompensation zu nutzen, die nachgewiesenermaßen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung fördern. Damit soll sowohl ein Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens als auch zu den Sustainable Development Goals (SDG) der Agenda 2030 geleistet werden. Diesen Anforderungen entsprechen:

  • Clean Development Mechanism + Gold Standard (CDM CER + GS)
  • Gold Standard bzw. Gold Standard for the Global Goals (GS VER)
  • Fairtrade Climate Standard (GS VER + Fairtrade)
  • Verified Carbon Standard + Social Carbon Standard (VCS + SCS)
  • Verified Carbon Standard + Climate, Community & Biodiversity Standard (VCS + CCBS)
  • Plan Vivo (PVC)

Standards, wie der deutsche MoorFutures oder die beiden britischen Woodland Carbon Code und der Peatland Code, sind nationale Projekte allein zur CO2-Kompensation.

Zusatzstandards, wie den Social Carbon, den Climate, Community and Biodiversity Standard oder den Plan Vivo Standard, gibt es meist nur in Kombination mit klassischen Standards wie dem Gold Standard. Diese kontrollieren, ob sich Klimaschutzprojekte negativ auf die örtliche Bevölkerung oder die Umwelt auswirken.

Leitlinien für Assekuranzunternehmen

Die Arbeitsgruppe „Kompensation“ im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat bereits „zentrale Aspekte für qualitativ hochwertige CO2-Zertifikate als unverbindliche Orientierung für die Mitglieder erarbeitet“.

Danach sollen sich die Unternehmen bei Projekten zur CO2-Kompensation und Klimaverantwortung von folgenden Fragen leiten lassen:

  • Werden zusätzliche Anstrengungen zur CO2-Reduktion unterstützt, die ohne diese Mittel nicht durchgeführt worden wären (Zusätzlichkeit/Additonalität)?
  • Beruht die erwartete Klimawirkung der Maßnahmen auf realistischen Annahmen und Berechnungen?
  • Ist die Klimawirkung permanent bzw. werden hinreichend Maßnahmen ergriffen, um die Wiederfreisetzung von CO2 zu vermeiden?
  • Ist die Zurechnung der Klimawirkung eindeutig?
  • Welche Wirkung auf weitere ökologische und soziale Faktoren haben die Projekte?
  • Wird das Projekt im Rahmen eines etablierten Standards durchgeführt?

Die Kritik

Unter Umweltgesichtspunkten wird allgemein die Reihenfolge „vermeiden, verringern, kompensieren“ empfohlen. Durch die Möglichkeit der Kompensation fürchten Kritiker eine Aufweichung dieses Prinzips und eine Art „Ablasshandel“, der zu umweltschädlichem Verhalten verleiten könnte. Dies insbesondere dann, wenn die Kompensation für Unternehmen günstiger ist als Investitionen in das Vermeiden oder Verringern. Bei den in Deutschland gängigen Anbietern kostet die Kompensation einer Tonne CO2 häufig zwischen 20 und 30 Euro – bei einer weiten Preisspanne, die mit 10,80 Euro beginnt. Die Preise korrelieren nicht mit der Qualität der Anbieter.

Der WWF rät von Baum- und Landnutzungsprojekten zu Kompensationszwecken ab. Sein Argument:                 Fossile Emissionen könnten 1.000 Jahre überdauern. So langfristig sollten auch die Ausgleichsprojekte ausgerichtet sein. Zudem brauchten jung gepflanzte Bäume lange, bis sie eine Klimawirkung entfalten würden.

Bei den freiwilligen Standards und Projekten bestehen Kontrollprobleme. Viele Projekte sind im globalen Süden angesiedelt und somit oftmals schlecht erreichbar. Hinzu kommen teilweise Regierungssysteme, die wenig Transparenz zulassen. Die Deutsche Emissionshandelsstelle rät: „Der Anbieter sollte seine Vorgehensweise (Projekte, Berechnungen, Standards, Kostenverteilung) transparent darstellen und verständlich erklären, wie die Emissionsberechnung erfolgt, aus welchen Projekten und Ländern die Zertifikate stammen. Weiterhin sollte der verwendete Qualitätsstandard klar benannt werden.“

Oft wird nicht deutlich, ob es sich um Ex-ante- oder Ex-post-Projekte handelt. Bei Ersteren wird das Projekt erst dann initiiert oder weiter gefördert, wenn die finanziellen Mittel eingenommen worden sind. Somit kann es dauernd, bis die bereits verursachten THG-Emissionen kompensiert werden. Solche Zertifikate sind nach Einschätzung des Bundesumweltamtes „nur bedingt zur Kompensation geeignet, da vergangene Emissionen dabei mit Minderungen in der Zukunft ausgeglichen werden“.

Bei der zweiten Variante wurde die Einsparung hingegen bereits erzielt, bevor das Zertifikat verkauft wird. Hier tritt das Projekt zwar in Vorleistung, es ist aber nicht immer eindeutig, ob das Projekt nicht auch ohne Kompensationszahlung bestehen würde. Das Bundesumweltamt hält bei beiden Varianten eine transparente Kennzeichnung des Zeitpunkts der Ausschüttung sowie einen Puffer für Unwägbarkeiten bei der späteren Durchführung der Minderungsprojekte für „essentiell“.

Zu den wichtigsten Kritikpunkten gehört das Problem der Doppelzählungen: So wurde bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 vereinbart, dass die Länder zur Erreichung ihrer selbstgesteckten Klimaziele (Nationally Determined Contributions, NDCs) auf ein freiwilliges internationales Emissionshandelssystem zurückgreifen können. In einem Drittland umgesetzte Minderungsmaßnahmen kann sich das Geberland wie auch das Drittland anrechnen lassen. Mit Artikel 6 des Pariser Rulebooks wurden dabei eigentlich Regeln verabredet, doch sind diese relativ weich. Die Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima nennt drei Formen der Doppelzählung.

Quelle: Stiftung für Allianz und Klima; Wie kommt es zu einer Doppelzählung von Emissionsminderungen?

In Ländern, welche am Emissionshandel teilnehmen, wie etwa Deutschland, kann es zu Doppelzählungen kommen, da Deutschland als Land Ansprüche auf die im Inland ausgestellten Emissionsgutschriften geltend macht. Die Doppelzählung ist auch der Grund, warum es in Deutschland und in Europa keine zertifizierten Klimaschutzprojekte gibt, denn diese Länder haben bereits nationale Minderungsziele (NDCs). Für Deutschland und die EU sind aktuell keine Aufschläge („corresponding adjustments“) vorgesehen, um extra Projekte oder Sektorbereiche zur Nutzung im Rahmen eines freiwilligen Kompensationsansatzes („set aside“) freizugeben. In Deutschland (oder der EU) sind bisher jedoch keine derartigen Mechanismen vorgesehen, die es erlauben würden, inländische oder innereuropäische Minderungserfolge dem freiwilligen Markt zu überlassen und aus dem nationalen Inventar herauszunehmen.

Quelle: Gesamtverband der Versicherer; Der Beitrag der deutschen Versicherer zum Klimaschutz; S.22

Die Branche komme zwar bei der „Etablierung klimaverantwortlicher, ressourcenschonender Geschäftsprozesse“ gut voran, es blieben (trotz Reduktion der Emissionen bis 2025) aber voraussichtlich „Restemissionen“, deren Vermeidung unmöglich oder sehr unwirtschaftlich sei, so der Nachhaltigkeitsbericht 2022 des GDV. Daher müssten Instrumente zur Kompensation oder Klimaausgleichsprojekte eingesetzt werden. „Ein verlässlicher politischer Rahmen für Instrumente wie CO2-Zertifikate und ein qualitativ hochwertiger Markt für die dauerhafte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre“ sind für den Verband wichtig.

In ihren eigenen Nachhaltigkeitsberichten erläutern die Versicherungsgesellschaften meist ihre Kompensationsaktivitäten, im Branchenbericht spielt dies indes kaum eine Rolle. Lediglich beim Aspekt „Nachhaltigkeit der Produkte und der Behebung von Schäden“ für die Schaden- und Unfallversicherer wird darauf verwiesen, dass es die CO2-Kompensation für Aktivitäten der Kunden im Zusammenhang mit den Produkten gebe – beispielsweise für gefahrene Kilometer (16 %, 6 VU) oder beim Schadensfall (3 %, 5 VU).

Zum Nach- und Weiterlesen:

 

Umweltbundesamt: Freiwillige CO2-Kompensation durch Klimaschutzprojekte

GDV: Nachhaltigkeitsbericht 2022 – Der Beitrag der deutschen Versicherer zum Klimaschutz

The voluntary carbon market: 2022 insights and trends

WWF: Kompensation und CO2-Ausgleich: So geht es richtig

Verra. VCS Program Details

Allianz für Entwicklung und Klima

Emissionshandel – Volkswirtschaft und Klimaschutz

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