Für Versicherungsunternehmen und -vermittler haben sich per 2. August 2022 die Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln im Hinblick auf Nachhaltigkeit geändert. Dazu wurden mittels Delegierter Verordnungen die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD (Insurance Distribution Directive) und die europäische Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II – MiFID II) angepasst. Eine Leitlinie der EIOPA, aber auch ein DIN-genormtes ESG-Modul sollen bei der praktischen Umsetzung helfen.
Regulierung für den grünen Umbau
„Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler, die Versicherungsprodukte herstellen, sollten Nachhaltigkeitsfaktoren bei jedem Versicherungsprodukt im Produktzulassungsverfahren und bei jedem Versicherungsprodukt, das an nachhaltigkeitsinteressierte Kunden vertrieben werden soll, im Rahmen der übrigen Aufsichts- und Lenkungsvorkehrungen berücksichtigen,“ fordert die EU-Kommission in der Delegierten Verordnung (EU) 2021/1257. Die Regulierungsänderungen sind Folge des Pariser Klimaabkommens, des EU Green Deals sowie des Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Ziel ist es, private Finanzmittel für den Übergang zu einer CO2-armen, nachhaltigeren und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft umzulenken.
Geändert und ergänzt werden die wesentlichen Artikel der beiden delegierten Verordnungen (EU) 2017/2358 und (EU) 2017/2359 zur EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie. Für den Wertpapierbereich wird mit der delegierten Verordnung (EU) 2021/1253 parallel dazu die europäische Finanzmarktrichtlinie Mifid ll um Nachhaltigkeitsfaktoren, -risiken und -präferenzen ergänzt, die im Wesentlichen den erstgenannten Änderungen entsprechen.
Einige wesentliche Änderungen im Detail
Im Hinblick auf Nachhaltigkeitspräferenzen, welche potenzielle Kunden im Zug der Beratung äußern, werden in Artikel 2 der delegierten Verordnung (EU) 2017/2359 drei Produktkategorien genannt, welche diese bedienen können. Zwei davon beziehen sich konkret auf Mindestanteile nachhaltiger Investitionen, die die Nachhaltigkeitskriterien der EU-Taxonomie-Verordnung bzw. der Transparenz-Verordnung erfüllen.
Konkret nennt die Verordnung folgende Möglichkeiten:
- a) ein Versicherungsanlageprodukt, bei dem der Kunde oder potenzielle Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen im Sinne der Taxonomie-Verordnung angelegt werden soll (vergleiche Artikel 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates);
- b) ein Versicherungsanlageprodukt, bei dem der Kunde oder potenzielle Kunde bestimmt, dass ein Mindestanteil in nachhaltige Investitionen im Sinne der Transparenz-Verordnung angelegt werden soll (vergleiche Artikel 2 Nummer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates);
- c) ein Versicherungsanlageprodukt, bei dem die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden, wobei die qualitativen oder quantitativen Elemente, mit denen diese Berücksichtigung nachgewiesen werden, vom Kunden oder potenziellen Kunden bestimmt werden.
Die Anbieter sollen in ihrem Produktgenehmigungsverfahren sicherstellen, dass die Versicherungsprodukte so konzipiert sind, dass sie „den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kunden, einschließlich etwaiger Nachhaltigkeitsziele Rechnung tragen“, so die Neufassung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2358 Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a Ziffer i.
Auch bei der Ermittlung des Zielmarktes (Artikel 5) müssen Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber verlangt, dass der Hersteller des Versicherungsproduktes, „präzisiert (…), an welche Gruppe von Kunden mit spezifischen Nachhaltigkeitszielen das Versicherungsprodukt vertrieben werden soll.“ Kundengruppen ohne Bezug zu Nachhaltigkeitsfaktoren müssen dabei nicht ermittelt werden.
Die Hersteller dürfen aber nur das konzipieren und vermarkten, was neben bisherigen Bedürfnissen, Merkmalen und Zielen nun auch „einschließlich etwaiger Nachhaltigkeitsziele“ den zum Zielmarkt gehörenden Kunden entspricht. „Die Nachhaltigkeitsfaktoren eines Versicherungsprodukts sollten transparent dargestellt werden, damit Versicherungsvertreiber ihren Kunden oder potenziellen Kunden die einschlägigen Informationen zur Verfügung stellen können“, wird in den Erwägungsgründen zur Verordnung erläutert. Konkret muss der Hersteller bei der Prüfung auch der Finanzkompetenz der Kunden und den „notwendigen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen“ am gesamten Prozess beteiligten Mitarbeiter Rechnung tragen. Die Pflichten zur Produktüberwachung und -bewertung sowie bei der Auswahl und Durchführung des Vertriebs werden um „etwaige Nachhaltigkeitsziele“ erweitert.
Artikel 11 wird so geändert, dass auch Interessenskonflikte im Zusammenhang mit der Integration von Nachhaltigkeitszielen gegenüber dem Kunden berücksichtigt werden müssen. Liegt ein solcher Konflikt vor, muss der Vertriebler den Hersteller informieren und gegebenenfalls seine Vertriebsstrategie anpassen. Vermittler und Versicherer müssen die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen von Bestandskunden nicht sofort, sondern „erst bei der nächsten regelmäßigen Aktualisierung der bestehenden Eignungsbeurteilung“ abfragen.
Empfehlungen für (potenzielle) Kunden sollten sowohl die finanziellen Ziele als auch etwaige von diesen geäußerte Nachhaltigkeitspräferenzen widerspiegeln, so die Kommission. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren dürfe nicht zu unlauteren Verkaufspraktiken oder zur fälschlichen Darstellung von Versicherungsanlageprodukten als „nachhaltigkeitspräferenzkonform“ führen. Die Kommission rät, bei der Beratung zunächst die sonstigen Anlageziele und persönlichen Umstände des jeweiligen (potenziellen) Kunden zu beurteilen, bevor etwaige Nachhaltigkeitspräferenzen abgefragt würden.
Artikel 9 der delegierten Verordnung (EU) 2017/2359 wird so ergänzt, dass „Greenwashing“ ausgeschlossen werden soll. Das heißt, Versicherungsanlageprodukte dürfen nicht als umweltfreundlich oder nachhaltig verkauft werden, wenn sie es nicht sind. Vermittler und Versicherer sollten im Vertrieb ihre Gründe erläutern und diese sowie die Entscheidung des Kunden dokumentieren.
Ansätze für die Umsetzung
Konkrete Hilfestellungen zur Umsetzung in der Praxis möchte die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA mit ihren Leitlinien zur Einbeziehung der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden in die Eignungsbewertung schaffen. Diese wurden im Juli 2022 veröffentlicht und nach einem öffentlichen Konsultationsverfahren von der EIOPA veröffentlicht. Ein konkretes Schema zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen mit vorgegebenen Fragefolgen hat zudem das Deutsche Institut für Normung (DIN) erarbeitet. Die Abfragesystematik wurde in die vom DEFINO Institut für Finanznorm initiierte Norm DIN 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ integriert.
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