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Anstieg der Solvenzquoten in der Lebensversicherung – Deep Dive in die Hintergründe

Bereits im April 2023 haben wir darüber berichtet, wie sich die Zinswende positiv auf die Solvenzquoten der deutschen Lebensversicherer im Geschäftsjahr 2022 ausgewirkt hat. Durch den rasanten Zinsanstieg stieg die durchschnittliche aufsichtliche SCR-Quote nach Solvency II von 467 % auf 536 % an. Diese hohe Zinsabhängigkeit der Solvenzquoten deutscher Lebensversicherer ist eine bemerkenswerte Besonderheit im europäischen Versicherungsmarkt. Daher werfen wir nun einen genaueren Blick auf die konkreten Hintergründe, die zu dieser deutlichen Verbesserung der Solvenzsituation auf dem deutschen Markt geführt haben.

Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der Solvenz nach Solvency II ist die marktwertkonsistente Bewertung der Finanzmittelausstattung eines Versicherungsunternehmens, auch als „fair value“-Bewertung bezeichnet. Im Gegensatz zur buchwertorientierten HGB-Rechnungslegung wird hierbei eine marktwertbasierte Kapitalausstattung ermittelt und in Relation zu den risikobasierten Kapitalanforderungen gesetzt (siehe Bild oben). Vereinfacht gesagt wird ermittelt, ob die vorhandenen Eigenmittel ausreichen würden, um den erwarteten Kapitalbedarf im Falle eines statistischen „200-Jahres-Schadens“ innerhalb der nächsten zwölf Monate abzusichern. Insbesondere der Kapitalbedarf („Solvenzkapitalanforderungen“, kurz SCR) wird durch die Ermittlung des Risikokapitals einer Vielzahl einzelner Risiken ermittelt (siehe folgende Abbildung).

Mit Blick auf die Berechnung der SCR-Quote haben die Zinsen sowohl einen Einfluss auf die Eigenmittel (Zähler) als auch auf den Kapitalbedarf (Nenner): Durch den hohen Anteil an festverzinslichen Wertpapieren im Kapitalanlagebestand der Lebensversicherer (2022: ca. 70 % nach Marktwerten) ist infolge des Zinsanstieges im vergangenen Jahr der Marktwert der Eigenmittel zurückgegangen. Über den gesamten Markt hinweg sehen wir in Summe einen Rückgang um ca. 9 % und somit einen niedrigeren Wert des Zählers als im Vorjahr.

Der Einfluss der Zinsen auf den Kapitalbedarf im Nenner ist derweil komplexer. Hauptkomponente des SCR ist das Basissolvenzkapital („BSCR“). So hat das BSCR im Geschäftsjahr 2021 über 600 % des SCR ausgemacht (siehe folgende Abbildung). Durch verschiedene Anpassungsmöglichkeiten (beispielsweise Ausgleichsmöglichkeiten durch Reduktion der zukünftigen Überschussbeteiligung) kann und wird dieser hohe Einfluss des BSCR bei der Berechnung des SCR signifikant reduziert. Eine Änderung des BSCR hat damit dennoch einen direkten und signifikanten Effekt auf das SCR.

Mit Blick auf das BSCR sind für die Lebensversicherer ebenfalls Haupttreiber erkennbar. Den größten Einfluss hatte im Geschäftsjahr 2021 das (Kapital-)Marktrisiko mit 70 %, gefolgt vom versicherungstechnischen Risiko (56 %), sprich, das durch das eigentliche Versicherungsgeschäft der Lebensversicherer entstehende Risiko (siehe folgende Abbildung).

Blicken wir auf das Geschäftsjahr 2022, so ist durch den Zinsanstieg die Kapitalanforderung für das Marktrisiko im Lebensversicherungsmarkt um ca. 22 % zurückgegangen. Einen direkten Einfluss hat der Zinsanstieg dabei auf das Zinsrisiko, dessen Kapitalbedarf gesunken ist. Durch den Rückgang des Marktrisikos ist auch das BSCR um rund 10 % zurückgegangen, da bei den weiteren Komponenten, insbesondere dem versicherungstechnischen Risiko, keine derartigen Effekte zu sehen waren.

Diese Entwicklung schlägt analog auf das gesamte SCR über, welches aufgrund der Hauptkomponente BSCR um knapp 20 % gefallen ist. Die angesprochenen Ausgleichmöglichkeiten sind zwar ebenfalls zurückgegangen, jedoch in geringerem Maße als das BSCR.

Zusammenfassend ist im vergangenen Jahr bei der Berechnung der SCR-Quoten über den deutschen Lebensversicherungsmarkt hinweg sowohl der Zähler als auch der Nenner gesunken (siehe folgende Abbildung). Zwar sind dabei die Eigenmittel absolut betrachtet stärker gefallen als das SCR, relativ gesehen ist der Effekt im Nenner jedoch stärker ausgeprägt, weshalb die Entlastung bei den Kapitalanforderungen überproportional wirkt und letztlich die SCR-Quoten im Markt gestiegen sind – bei manch einem Lebensversicherer zum Teil immens.

Ähnlich große Sprünge erwarten wir für 2023 nicht. Gleichwohl dürften die Solvenzquoten in der Lebensversicherung angesichts der von der EZB deutlich vollzogenen Zinswende hoch bleiben oder sogar noch etwas weiter steigen.

Autor: David Dyschelmann (Senior-Analyst Assekurata Rating-Agentur GmbH)