Mit „Earth for All“ legt der Thinktank Club of Rome einen „Survivalguide“ für den Planeten“ vor. Mit vorgeschlagenen Maßnahmen sollen sich sowohl die 17 SDG-Ziele erreichen als auch die globale Erderwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen lassen. Notwendig dazu ist eine komplette Neuordnung der Grundlagen des Wirtschaftssystems – vom „Rentierkapitalismus“ hin zu einer „Wohlergehensökonomie“.
Ein Modell für die Welt
„Dies ist ein Buch über unsere Zukunft – die kollektive Zukunft der Menschheit in diesem Jahrhundert, um genau zu sein. Die Zivilisation steht an einem Scheideweg. (…). (Red.: Wir) befinden (…) uns inmitten eines planetaren Notstands, den wir selbst verursacht haben. Dieses Buch will darlegen, dass die Zukunft der Menschheit langfristig davon abhängt, ob unsere Zivilisation – eine bewundernswerte, unbekümmerte, vielgestaltige, inspirierende und verwirrende Zivilisation – in den kommenden Jahrzehnten fünf außerordentliche Kehrtwenden vollzieht,“ beginnt „der neue Bericht an den Club of Rome“. Erstellt wurde er von der 2020 gegründeten Earth4All-Initiative, einem internationalen Team von Ökonomen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen, darunter Sandrine Dixson-Declève (Ko-Präsidentin des Club of Rome) und der Erdsystemwissenschaftler Johan Rockström (Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung).
Earth for All sieht sich in der Nachfolge des ersten, 1972 veröffentlichten Berichts an den Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“. Das 1972 verwendete World3-Modell wurde zu „Earth4All“ ausgebaut. Den Autoren zufolge handelt es sich um ein systemdynamisches Computermodell, welches auf der Basis von Daten der Jahre 1980 bis 2020 tausende verschiedene Szenarien berechnet. Das Ergebnis sind sowohl globale Durchschnittswerte wie auch Entwicklungspfade für zehn Regionen der Welt. Eingeflossen sind im Wesentlichen Daten zur Bevölkerungsentwicklung, zur Armut, zum Bruttoinlandsprodukt, zur Ungleichheit, zu Investitionen in Dienstleistungen im Bereich Gesundheit, Rechtsstaatlichkeit und Bildung, zur Nahrungsmittelproduktion und zum Energiebedarf.
Den Autoren zufolge basiert Earth4All auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und quantitativen systemdynamischen Modellen und legt dar, wie das globale sozioökonomische System in den nächsten fünfzig Jahren umgestellt werden kann. Die Ergebnisse wurden von der zum Club of Rome gehörenden Transformational Economics Commission begutachtet.
Fünf Kehrtwenden
Das im Buch dargestellte Szenario „Too Little Too Late“ (Zu wenig, zu spät) zeigt, „was passieren könnte, wenn das Wirtschaftssystem, das die Welt (und jetzt auch die Biosphäre) beherrscht, mehr oder weniger so weiterläuft wie in den letzten fünfzig Jahren.“
In Diagrammform und am Beispiel vier fiktionaler Biografien werden als Folgen unter anderem das Überschreiten der globalen Erderwärmung bis 2050 um mehr als zwei Grad Celsius und ab 2100 um 2,5 Grad Celsius abgeleitet. Dieser Klimanotstand zieht dann unter anderem über Ernteausfälle und steigende Nahrungsmittelpreise gesellschaftliche und wirtschaftliche Turbulenzen nach sich. Mangelnde Investitionen in die Bildungssysteme, insbesondere für Mädchen, sorgen in letzter Konsequenz für ein Anwachsen der Weltbevölkerung auf 8,8 Milliarden Menschen 2050, womit sich die Probleme weiter verschärfen.
Szenario 2 ist der „Giant Leap“ (Riesensprung), bei dem „das Wirtschaftssystem durch mutige, außerordentliche Bemühungen zum Aufbau einer resilienteren Zivilisation umgestaltet“ würde. In diesem Szenario könnten die Ziele des Pariser Klimaabkommens sowie die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 realisiert werden. Den Autoren zufolge ist „das entscheidende Jahrzehnt 2020 bis 2030“, um mit fünf Kehrtwenden – konkret: mit „gezielten und umfangreichen Investitionen“ – die Risiken substanziell zu reduzieren. Es handelt sich dabei um:
- die Beendigung der Armut,
- die Beseitigung der eklatanten Ungleichheit,
- die Ermächtigung (Empowerment) der Frauen,
- den Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems,
- den Übergang zum Einsatz sauberer Energie.
Das Wissen und die Technologien für diese Kehrtwenden seien vorhanden. Der Investitionsbedarf für die Transformation liegt den Autoren zufolge mit zwei bis vier Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts pro Jahr weit unter den Kosten für die Corona-Pandemie. Investiert werden soll vorwiegend in Bildung, speziell in die Ausbildung von Mädchen, das Gesundheitswesen sowie in eine nachhaltige Energie- (z. B. Ausbau erneuerbarer Energie und vollständige Elektrifizierung) und Ernährungssicherheit (z. B. lokale Produktion).“
Die Autoren warnen davor, den Umbau den Marktkräften zu überlassen. Die Einkommens- und Vermögensungleichheit soll so weit beseitigt werden, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung nicht mehr als 40 Prozent der Vermögen besitzen. Umverteilt wird beispielsweise über eine progressive Einkommensteuer, die Schließung von Steueroasen und eine allgemeine Grunddividende, die an alle ausgeschüttet wird. Für Letztere zahlt die Industrie in einen Bürgerfonds ein, wenn sie gemeinsame Ressourcen nutzt. Die gemeinsamen Ressourcen sind nicht abschließend definiert. Es kann sich dabei nicht nur um Verschmutzungsrechte handeln, sondern auch um geistige Eigentumsreche, Finanzvermögen oder den Besitz von Land oder fossilen Brennstoffen. Zudem geht es um einen Schuldenerlass für die Länder des globalen Südens, die die „doppelte Herausforderung von Klimawandel und Armut zu bewältigen“ hätten.
Die Autoren plädieren für die Umgestaltung der internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und die Welthandelsorganisation. Diese sollen künftig die ökologische Wende und Investitionen in Klima, Nachhaltigkeit und Wohlergehen unterstützen. Die Autoren kritisieren aber auch die Rolle des Finanzsystems an sich („Aufstieg einer parasitären Rentenökonomie im Namen der freien Märkte“), welches vor allem von Kursschwankungen lebe.
Einige mögliche Implikationen für die Assekuranz
Die Autoren legen „keine vollständige Liste an Lösungen vor“, sondern „Ideen“, die ihrer Meinung nach in „kürzester Zeit die größte Wirkung entfalten könnten“. Insofern wird vieles angerissen – und es bleibt beispielsweise offen, was nach einem möglichen Umbau des Finanzsystems für die Assekuranz noch als Geschäftsfeld bleibt. Unter der Voraussetzung, der Umbau schafft die Branche nicht ab, könnte er folgende Chancen eröffnen:
- Sich entwickelnde Volkswirtschaften bedeuten neue Märkte für Erst- und Rückversicherung.
- Sich entwickelnde Volkswirtschaften bringen zusätzliche Nachfrage nach Kapital – und damit Anlagemöglichkeiten für die Assekuranz.
- Mit der Begrenzung der globalen Erderwärmung auf zwei Grad Celsius könnten viele Modelle weiterhin angewendet werden – und viele Schadenszenarien blieben noch versicherbar.
- Damit ließe sich mit den Risiken des Klimawandels bzw. der Anpassung an den Klimawandel in Form von Prävention und Versicherungsschutz Geschäft machen.
- Auch für die vorgeschlagene Grunddividende könnte die Assekuranz Anlagemöglichkeiten bereithalten.
- Als Arbeitgeber könnte die Assekuranz von einer besseren Schulbildung profitieren. Der brancheneigenen Weiterbildungserhebung 2022 zufolge können aktuell zwölf Prozent der Ausbildungs- und 20 Prozent der dualen Studienplätze nicht besetzt werden. Nach Auffassung der Mehrheit der Personalverantwortlichen mangelt es an geeigneten Bewerbern.
- Aber auch: Als Teil der skizzierten Gesellschaften müsste sich die Versicherungswirtschaft diverser in den Führungsebenen aufstellen. Der Anteil weiblicher Führungskräfte ist laut dem Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland e. V. im Innendienst erst auf knapp 30 Prozent (2021) gestiegen – der Frauenanteil an der Beschäftigung liegt bei 53 Prozent. Zudem ist der Frauenanteil nur in den unteren Führungspositionen hoch – auf der Führungsebene 1 ist nicht einmal jede fünfte Position mit einer Frau besetzt. Noch stärker unterrepräsentiert sind Personen mit Migrationshintergrund oder auch Transpersonen.