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Das Thema Nachhaltigkeit kommt momentan nur noch zögerlich voran

Spätestens mit den langen Hitzeperioden in Kontinentaleuropa in den Sommermonaten 2019 und 2020 und der verheerenden Flut an der Ahr im Juli 2021 ist wohl auch den letzten Zweiflern klar geworden, dass der Klimawandel bereits weit fortgeschritten ist und sich die Erderwärmung deutlich beschleunigt hat. Die Politik hat auf höchster europäischer Ebene lange zögerlich gehandelt, letztlich aber – wenn auch spät – die Ziele der 21. UN-Klimaschutzkonferenz 2015 mit dem sogenannten Pariser Abkommen auf die eigene Agenda genommen. Inzwischen betonen fast alle Politiker und Konzernlenker weltweit die Notwendigkeit, die Erderwärmung auf unter zwei Grad, möglichst aber auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dieses Ziel ist jedoch nur erreichbar, wenn alle Staaten und Unternehmen so rasch wie möglich ihre Treibhausgasemissionen deutlich reduzieren und möglichst lange vor dem allgemein anvisierten Jahr 2050 klimaneutral werden.

Als Kapitalsammelstellen spielen hierbei die Finanzmarktteilnehmer und damit auch Versicherungen und Pensionskassen eine große und wichtige Rolle. Da das Thema Nachhaltigkeit zwar bereits seit längerem breit diskutiert worden ist, in den meisten Fällen aber aufgrund mangelnder intrinsischer Motivation nicht deutlicher in den Vordergrund gerückt war, hat die Politik nun entscheidende Akzente gesetzt. Der EU-Aktionsplan als Herzstück und Impulsgeber für eine nachhaltige Entwicklung soll die Kapitalströme in nachhaltige Investments umlenken und damit die Finanzierung nachhaltigen Wachstums ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Finanzrisiken, die aus Klimawandel, Ressourcennutzung, Umweltschäden, aber auch aus sozialen Problemen entstehen, in den Risikomanagementsystemen aktiv abgebildet und gesteuert werden. Damit zieht die Nachhaltigkeit endgültig in das Risikomanagement ein.

Offenlegungsverordnung setzte wichtigen Meilenstein

Die Zielerreichung soll dabei weitgehend über regulatorische Vorgaben sichergestellt werden, stellt somit für die Finanzmarktteilnehmer lediglich eine extrinsische Motivation bzw. Pflichtaufgabe dar. Für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung wurde die europäische EbAV-II-Richtlinie mit dem EbAV-II-Umsetzungs-Gesetz bereits am 13.01.2019 ins VAG umgesetzt und hat dort neben Regelungen zur Geschäftsorganisation, zum Risikomanagement und zur eigenen Risikobeurteilung erweiterte Informationspflichten gegenüber Versorgungsanwärtern und -empfängern im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte kodifiziert. Hierzu gehören Angaben zur Anlagepolitik aus den Bereichen Umwelt, Klima, Soziales und Unternehmensführung. Darüber hinaus müssen alle Versicherer und Pensionskassen in ihrem Risikomanagement auch die Risiken der Nachhaltigkeit abbilden.

Von größter Bedeutung ist für alle Finanzmarktteilnehmer die im März 2021 in Kraft getretene sogenannte Offenlegungsverordnung. Hiermit wurden wichtige Meilensteine gesetzt, ab wann die Veröffentlichung von Informationen der Finanzmarktteilnehmer zur Nachhaltigkeit ihrer Investitionsentscheidungen erfolgen muss. Die Verordnung regelt die Offenlegungspflicht bezüglich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsthemen in Strategien, Prozessen und Produkten.

Etwas nachgelagert wurde mit der Taxonomie-Verordnung und der Delegierten Verordnung zur Ergänzung der Taxonomie-Verordnung im Juli 2021 das Klassifikationssystem (Taxonomie) zur Beurteilung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten in die Offenlegungsverordnung integriert. Sie enthält Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Die Taxonomie-Verordnung ergänzt die Offenlegungsverordnung und gilt für alle Unternehmen, die auch der Offenlegungsverordnung unterliegen. Die Verordnung adressiert insgesamt sechs Umweltziele, konzentriert sich aber, quasi symbiotisch mit der Diskussion um den Klimawandel, bisher ausschließlich auf die beiden Ziele Klimaschutz und Klimawandelanpassung. Die übrigen vier Ziele: nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Verschmutzung und Schutz von Ökosystemen und Biodiversität sowie eine sogenannte Sozialtaxonomie werden erst zu einem späteren Zeitpunkt adressiert und befinden sich noch im Diskussionsstadium.

Zeitachse ins Stocken geraten

Sowohl die Offenlegung- als auch die Taxonomieverordnung werden jeweils durch technische Regulierungsstandards (RTS) spezifiziert. Die Anwendung der RTS war von Beginn an in zwei Schritten (Level I und Level II) vorgesehen. Level I als wesentlicher Teil der Taxonomieverordnung ist seit dem 10.03.2021 in Kraft und wird zum 01.01.2022 anwendbar. Gleichzeitig sollten auch weitere delegierte Verordnungen, sogenannte Level-II-Maßnahmen, in Kraft treten, die die Transparenzpflichten aus der Taxonomieverordnung und aus der bereits seit dem 10.03.2021 geltenden Offenlegungsverordnung konkretisieren. Taxonomie und Offenlegung sind teilweise miteinander verzahnt; ein gebündeltes Inkrafttreten der genannten Regelungen hätte für die Markteilnehmer den Vorteil gehabt, dass die Umsetzung in einem Schritt erfolgt wäre. Hierzu hätte die EU allerdings sämtliche Level-II-Maßnahmen so rechtzeitig verabschieden müssen, dass bis zum 01.01.2022 ausreichend Zeit zur Umsetzung verbleibt.

Die ursprünglich vorgesehene Zeitachse geriet jedoch im Sommer 2021 ins Stocken. Am 30.07.2021 hat die BaFin alle Unternehmen über einen Brief der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament vom 08.07.2021 informiert. Hierin teilte die Kommission mit, dass sie plane, die insgesamt 13 technischen Regulierungsstandards zur EU-Offenlegungsverordnung nun in einem einzigen delegierten Rechtsakt zu vereinen und den Anwendungsbeginn vom 01.01.2022 um sechs Monate auf den 01.07.2022 zu verschieben. Es ist vorgesehen, die technischen Regulierungsstandards mit den Regulierungsstandards für die produktbezogenen Offenlegungspflichten aus der Taxonomie-Verordnung zu bündeln. Die BaFin hat die existierenden und geplanten Anwendungsfristen der nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater entsprechend aktualisiert. Vor dem Hintergrund der ausstehenden Level-II-Regulierung legt die BaFin nach eigener Aussage weiterhin nur den Level-I-Text der Offenlegungsverordnung als Maßstab ihrer Aufsichtstätigkeit an. In der Praxis bedeutet dies, dass die Offenlegungsverordnung ab dem 01.01.2022 auf „prinzipienbasierte Weise“ und unter möglicher Berücksichtigung der RTS im Entwurfsstadium anzuwenden ist.

Am 22.10.2021 haben die drei Europäischen Aufsichtsbehörden der Europäischen Kommission ihren Abschlussbericht mit dem weiter spezifizierten und vervollständigten Entwurf vom 04.02.2021 für die technischen Regulierungsstandards vorgelegt. Dieser enthält zahlreiche verbindliche Regelungen zu Inhalt, Methodik, Umfang und Darstellung der Offenlegungspflichten bei Produkten, die einen wesentlichen positiven Beitrag zu einem Umweltziel leisten und führt somit zusätzliche, taxonomiebezogene Produktangaben für den vorvertraglichen Prozess sowie für die regelmäßigen Berichte ein.

Die Europäische Kommission wird die RTS-Entwürfe prüfen und innerhalb von drei Monaten entscheiden, ob sie diese billigt.

Weltweit starker Bedarf an sozialen Investitionen

Parallel wird auf Ebene der Europäischen Aufsichtsbehörden an der Erarbeitung weiterer technischer Regulierungsstandards für die übrigen vier Umweltziele gearbeitet. Es war geplant, einen ersten Entwurf bis zum Ende dieses Jahres vorzulegen. Es ist aber auch hier mit einer Verzögerung bis ins Jahr 2022 zu rechnen.

Am 12. Juli 2021 veröffentlichte ein Beratergremium der EU-Kommission auf der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen (EU Platform on Sustainable Finance) ihren Berichtsentwurf über den Vorschlag für eine Sozialtaxonomie zur Konsultation. Der Bericht stellt fest, dass es weltweit einen starken Bedarf an sozialen Investitionen primär in den Bereichen erschwinglicher Wohnraum, Gesundheitsfürsorge, Ausbildung und Achtung der Menschenrechte gibt. Zusätzlich wird auf einen starken Bedarf an sozial integrativen Maßnahmen hingewiesen, die eine grüne Transformation der Wirtschaft begleiten. Bisher ist ein erheblicher Mangel an Definitionen und einem standardisierten Klassifizierungssystem für soziale Ziele zu konstatieren. Die Sozialtaxonomie soll möglichst in enger Anlehnung an die Systematik der Umwelttaxonomie ausgestaltet werden. Allerdings ist dies bei der Entwicklung von Sozialzielen im Vergleich zur Umwelttaxonomie, die auf strikt wissenschaftliche Ansätze zurückgreift, sehr schwierig, weil diese weit stärker von weltanschaulichen, politischen oder soziokulturellen Meinungen abhängen. Deshalb wird weitgehend auf internationale Standards referenziert. Das Konsultationsverfahren läuft zurzeit noch. Die Erarbeitung einer eigenen Governance-Taxonomie wird zurzeit nicht erörtert.

Neue Dynamik des Machens notwendig

Viele Unternehmen stöhnen über die ihrer Meinung nach überbordende Regulatorik, die kaum noch überschaubar beziehungsweise beherrschbar sei und primär lediglich die Risiken der Nachhaltigkeit und der Offenlegung adressiert. Es ist hier in der Tat auch wenig Mehrwert für die Unternehmen selbst erkennbar, wenn sie die regulatorischen Vorgaben lediglich eins zu eins umsetzen. Vielmehr sollten hier gleichzeitig die Chancen der Nachhaltigkeit für ein aktives Risikomanagement und ein chancenorientiertes Portfoliomanagement genutzt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, eine eigene wertebasierte Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, die sich nicht nur auf die Kapitalanlagen und das Risikomanagement begrenzt. Die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens, deren Notwendigkeit erst jüngst auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow bekräftigt wurde, bedarf nicht nur staatlicher Anstrengungen, sondern vor allem auch konsequenter Bemühungen der Kapitalsammelstellen. Deren aktiver Beitrag erscheint umso wichtiger, da eine Analyse der Ergebnisse der Glasgower Konferenz ernüchternd ausfällt. Die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg hat nicht völlig unrecht, wenn sie per Twitter eine vernichtende Bilanz mit den Worten zieht: „Die COP26 ist vorbei. Hier ist eine kurze Zusammenfassung: Blah, blah, blah. Aber die echte Arbeit geht außerhalb der Hallen weiter. Wir werden niemals aufgeben, niemals.“ In der Tat wurde zwar das Bekenntnis zum 1,5 Grad-Ziel bestätigt, die Erreichung des Ziels (und selbst des 2,0 Grad-Ziels) bleibt mit den gefassten Beschlüssen zum Abschied von der Kohle (nur „Phase Down“ statt „Phase Out“) außer Reichweite und die Umsetzung sehr herausfordernd. Deshalb wird auch die reine Befriedigung bisheriger regulatorischer Vorgaben nicht ausreichen, um die ehrgeizigen Ziele – möglichst früher als bisher geplant – zu erreichen. Eine neue Dynamik des Machens ist notwendig. Dies gilt nicht nur für die Umweltaspekte, sondern in gleicher Weise für das große und wichtige Feld der Sozialaspekte. Nachhaltigkeit kann nicht der Politik alleine überlassen bleiben, sondern sollte vorrangige Aufgabe in jedem Unternehmen sein. Dabei schließen sich ökonomische und nachhaltige Zielsetzungen keineswegs aus, sondern ergänzen sich komplementär. Die angestrebte Rendite wird dann im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig.

Autor: Ewald Stephan (Senior-Consultant Assekurata Solutions GmbH)