Prof. Dr. Andreas Moring, Hochschullehrer für digitale Wirtschaft, Innovation und Künstliche Intelligenz an der International School of Management (ISM) in Hamburg
Die Immobilienwirtschaft und das Immobilienmanagement stehen vor zwei Herausforderungen: Die Digitalisierung und die stetig steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit in Bau und Betrieb gleichzeitig zu meistern. Die
gute Nachricht: Das kann sich beides gegenseitig unterstützen. Digitalisierung – und hier insbesondere Künstliche Intelligenz – ist sogar der Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit. Bisher war es immer eine Hürde für KI-Anwendungen, dass diese Anwendungen besonders viele Daten brauchen. Doch eine neue Methode kann dieses Problem lösen und die Potenziale von Künstlicher Intelligenz für den Immobiliensektor erschließen. Das Ergebnis: Verlässliche und quantitativ belastbare Systematiken, Kennzahlen und Messungen für die Steuerung und die Optimierung von Immobilien und ganzen Portfolios auf ESG-Ziele und Wirtschaftlichkeit zugleich.
Neue Potenziale in der ESG-Messung und -Steuerung
Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit erschienen bisher zu Unrecht als unterschiedliche Welten. Ganz im Gegenteil passen sie aber zusammen, ja, sie bedingen sich sogar gegenseitig. Warum ist das so? Künstliche Intelligenz kann in Datenmengen Muster, Korrelationen, Zusammenhänge und Anomalien erkennen und diese „lernen“. Das zeigt, wo die entscheidenden Ansatzpunkte und „Hebel“ im Immobilienbetrieb für die Verbesserung und Optimierung der Nachhaltigkeit einer Immobilie, wie vor allem auch eines ganzen Bestandes oder Portfolios liegen. So können laufende Prozesse, Produkte, Organisationen, Portfolios und das gesamte Property und Facility Management nachhaltiger gestaltet und gesteuert werden. Für Versicherer und das Asset Management ergeben sich hier ganz neue Potenziale in der ESG-Messung und -Steuerung, die mit klassischen Mitteln nicht erreichbar sind. Mit der Datenbasis und quantitativen KI-Methoden lässt sich zudem erstmals die Nachhaltigkeit messen und belegen. Immobilien sind nicht mehr „nur“ Assets – sie werden zur strategischen Datenquelle zur Nachhaltigkeits-Optimierung. Dies ist ein entscheidender Fortschritt vor dem Hintergrund stetig steigender Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Immobilien und vor allem ihre Besitzer und Betreiber durch den Gesetzgeber, durch die Investoren und nicht zuletzt durch die Kunden und Nutzer der Immobilien.
Bisher gab es mehrere Hürden, Künstliche Intelligenz für mehr Nachhaltigkeit im Immobilienmanagement zu nutzen. So ist die Immobilienwirtschaft von Datensilos und Einzelfällen geprägt. Diese Datensilos gibt es auch in anderen Branchen und Unternehmen. Es bedeutet, dass Daten zwar irgendwo im Unternehmen vorhanden sind, jedoch in unterschiedlichen Formen, Qualitäten und nicht miteinander kompatibel. So kommt man natürlich nur schwer auf eine kritische Masse, um aus Daten echten Nutzen – also Wissen – zu ziehen. Die Folgen: Genannte Datensilos, weitgehend singuläre Analytics, keine Vernetzung und Synergieeffekte in digitalen Anwendungen und zu geringe Datenmengen für sinnvolle KI-Anwendungen. Die Immobilienbranche ist im Vergleich zu anderen Branchen wie Industrie, Logistik oder Konsumgüter geprägt von relativ wenigen Projekten und langen Lebenszyklen. Die Lebenszyklen erstrecken sich über Jahre, sogar über Jahrzehnte und Generationen. Im Unterschied zu Autos, Kosmetik oder Mode gibt es in der Immobilienbranche praktisch keine vergleichbaren Massenprodukte in laufender und mehr oder weniger immer gleicher Produktion. Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass Kooperationen und das Teilen von Daten zwischen Unternehmen der Branche nicht zum Standard im Markt gehören. Im Immobilienmarkt herrscht hoher Wettbewerbsgeist, es geht um sehr hohe Investitionssummen und finanzielle Risiken und es geht um Geschäftsgeheimnisse, die über das Zustandekommen oder Scheitern von Projekten entscheiden. Hinzu kommen noch Datenschutzvorschriften. Es ist also durchaus verständlich, dass zwar gerne die Kooperation beschworen wird, das Offenlegen, Teilen und gemeinsame Nutzen von Daten aus Sicht der einzelnen Unternehmen aber keinen Sinn machen oder sogar als gefährlich eingeschätzt werden.
Real Analytics ermöglicht Messung und Optmierung des Immobilienportfolios an ESG- und Nachhaltigkeitszielen
Ein neues KI-Prinzip mit dem Namen „Real Analytics“ auf der Basis des sogenannten Federated Learning ändert das. Entwickelt worden ist es von Experten an der University of Oxford und in Hamburg. Das traditionelle KI-Motto lautete: Bringe möglichst viele Daten zum KI System. Real Analytics funktioniert nun nach dem Motto: Bringe das lernende KI-System zu den Daten. Das bedeutet, dass das Prinzip der Datenauswertung und der Analyse des KI-Systems auf die Datenquellen gespielt wird, auf denen sich die relevanten Daten befinden. Das Training von KI-Modellen passiert also auf den einzelnen Immobilien bzw. deren zugehörigen Datenbanken, auf verbauter Hardware oder sogar auf einzelnen Geräten oder Sensoren in den bestehenden Immobilien durch sogenanntes aggregiertes Lernen. Auf jedem Bestand wird mit den vorhandenen Daten sozusagen ein kleiner Teil des Ganzen gelernt. Die Erkenntnisse daraus, und eben nicht die Daten selbst(!), werden dann zueinander gebracht und sozusagen wie ein Puzzle zu einem einheitlichen, schlüssigen und verlässlichen Bild zusammengesetzt. Versicherer können so ihr eigenes Portfolio an Immobilien auf ESG- und Nachhaltigkeitsziele hin messen und optimieren. Gleichzeitig ist auch ein realistisches Benchmarking gegenüber dem Gesamtmarkt möglich. So können Best Practices identifiziert werden, ohne dass ein Unternehmen die Daten offenlegen muss. Damit können Versicherer gegenüber dem Gesetzgeber und gegenüber den eigenen Anlegern quantitativ belegen, dass und wie sie ihre ESG-Ziele erreichen wollen – und das es gelingt.
Die Vorteile dabei liegen klar auf der Hand: Es gibt weiter eine lokale Datenspeicherung und keine zentrale Sammlung, niemand muss seine Daten mit anderen teilen oder offenlegen. Es besteht garantierter Datenschutz, da die Daten die Server oder Geräte nicht verlassen und beim Zusammensetzen des Puzzles anonymisiert sind. Die KI interessiert nur die Menge und die Qualität der Daten, nicht woher sie kommen, wo sie genau liegen oder wem sie letztlich gehören. Vor allem letztgenannte Frage, „Wem gehören eigentlich die Immobiliendaten?“, ist ja durchaus relevant und vieldiskutiert bei und zwischen Immobilienbesitzern, Betreibern, Dienstleistern und den Nutzern oder Bewohnern selbst. Gleichzeitig haben alle Parteien, die am Federated Learning teilnehmen, einen gesicherten Zugriff auf die Erkenntnisse aus den Datenbeständen und können diese, wie auch die trainierte KI, für eigene Zwecke nutzen. Und dafür brauchen die Partner, also die Unternehmen, auch keine neue Infrastruktur; die eigene, vorhandene IT- und Datenlandschaft ist völlig ausreichend. Möglich sind also Berechnungen und Analysen auf lokalen Datenbeständen. Möglich sind verschlüsselte Ergebnisse, die mittels des sogenannten Secure Aggregation Protocol auch geheim bleiben. Das Verbinden, Aggregieren und Entschlüsseln der Ergebnisse erfolgt auf dem eigenen Server im Unternehmen oder auf einem gesicherten Server in der Cloud. Das Motto lautet hier also „Share the knowledge, not the data!“
Der konkrete Nutzen für Immobilienbetreiber sowie das Property- und Portfoliomanagement von Versicherern durch „Real Analytics“ lässt sich klar benennen. Mit Federated Learning können Unternehmen Erkenntnisse und Wissen zu ihren Immobilien und zum Gesamtmarkt gewinnen, das mit klassischen Analysemethoden nicht erreichbar ist. Allein das ist schon ein enormer Fortschritt für die Wettbewerbsfähigkeit wie auch die Nachhaltigkeit. Zudem liefert der föderierte Ansatz klare Kennzahlen und damit eine Systematik für die Steuerung, den Betrieb und die Optimierung von Immobilien(-portfolios) auf Nachhaltigkeit und Rendite. Das Property- und Asset-Management von Versicherungsunternehmen bekommt damit eine quantitative Datenbasis und eine objektive und zugleich erklärbare und verständliche Methode als Nachweis und Beleg darüber, dass und wie die ESG-Anforderungen und Nachhaltigkeitsvorgaben gesteuert, nachgehalten und erfüllt werden, die von Seiten des Gesetzgebers und der Regulatorik, von Seiten der Finanzwirtschaft und Investoren und nicht zuletzt von Seiten der eigenen Kunden und Nutzer gestellt werden. Die scheinbar getrennten Welten von Künstlicher Intelligenz und Nachhaltigkeit im Immobilienmanagement kommen genau hier zusammen. Und das nützt nicht nur dem Klima, sondern vor allem auch innovativen Unternehmen.