Telematik – ein Nischenprodukt mit großem Potenzial
Der Mobilitätswandel stellt im nächsten Jahrzehnt unumstritten die zentrale Herausforderung für die Kfz-Versicherer dar. Dabei verändern sich jedoch nicht nur Arten und Formen der Mobilität (z. B. E-Scooter, Carsharing). Vielmehr werden die aktuell größten Veränderungen durch die zunehmende Automatisierung und Vernetzung der Fahrzeuge vorangetrieben. Der dabei immer größer werdende Datenstrom bietet große Möglichkeiten auch im Versicherungsbereich.
Im Markt angekommen ist die Messung des Fahrverhaltens über Apps oder Sensoren, um diese dann anschließend in die Prämienkalkulation mit einfließen zu lassen. Diese so genannten Telematiktarife winken bei entsprechend umsichtiger Fahrweise mit Prämiennachlässen von bis zu 30 %. Das Kalkül dahinter ist ganz einfach: Je umsichtiger und vorsichtiger die Fahrer, desto geringer die Unfallwahrscheinlichkeit. Dies entlastet entsprechend die Schadenaufwände der Versicherer.
Sowohl die eingesetzte Technik als auch die verwendeten Analyseverfahren entwickeln sich dazu ständig weiter und liefern immer feinere Ergebnisse. Bereits heute lässt sich ein sehr genaues Bild des Fahrstils ermitteln und beispielsweise einzelnen Fahrern zuordnen. Inwieweit die Fahrweise zukünftig als echtes Tarifierungsmerkmal zu einer (noch) risikogerechteren Preisbildung genutzt werden kann, ist aus heutiger Sicht nicht stichhaltig zu beurteilen. Nahezu alle bisher am Markt erhältlichen Tarife bieten eine pauschale Belohnung bzw. einen Rabatt für einen guten Fahrstil, der sich bei einem „schlechten“ Fahrstil verringert oder gegebenenfalls ganz entfällt. Eine risikoreiche Fahrweise hingegen wird nicht mit einem Prämienaufschlag „bestraft“. Als erster Anbieter geht die Cosmos in ihrem Telematiktarif Betterdrive mittlerweile dazu über, risikoreiche Fahrer zu sanktionieren. So streicht der Versicherer bei einer sehr schlechten Fahrweise im Folgejahr nicht nur den Bonus, sondern der Versicherungsnehmer muss sogar etwas mehr zahlen, als er im regulären Tarif gezahlt hätte. Inwieweit andere Gesellschaften diesem Beispiel folgen werden bleibt abzuwarten.
Technischer Aufwand als Hemmschuh
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Hürden für die Einführung und den Erfolg von Telematiktarifen hoch sind. Unternehmensseitig ist ein Einstieg mit hohen Investitionen in Technik und Know-how verbunden, was nicht jeder Versicherer bereit ist zu leisten. Aus diesem Grund ist es kaum verwunderlich, dass nach der ersten Euphorie marktweit eine Konsolidierung stattgefunden hat.
Hatten 2017 noch 14 von 91 Kfz-Versicherern einen Telematiktarif im Angebot gehabt, sind es mittlerweile laut dem Finanzportal „Finanztip“ nur noch elf Unternehmen. Und auch von Seiten der Kunden herrscht noch Kaufzurückhaltung, wie die Zahl von derzeit lediglich 200.000 Telematikpolicen marktweit zeigt. Neben dem Thema der Datensicherheit spielte dabei sicherlich auch der Aufwand zur Installation der benötigten Technik eine Rolle.
Um Letzterem beizukommen, bemühen sich die Versicherer, den technischen Aufwand für die Datenaufzeichnung weiter zu reduzieren. So ist beispielsweise die HUK-Coburg in ihrem Tarif „Smart Driver“ von den anfangs genutzten Telematikboxen, welche Kunden bei ausgewählten Partnern am Auto anbringen lassen mussten, auf einen einfachen Aufklebesensor umgestiegen. Dieser ermittelt nun in Verbindung mit einer App die Fahrdaten des Kunden.
Ausweitung der Zielgruppe als Türöffner?
Um das Geschäftspotenzial zu erhöhen, gehen die Versicherer darüber hinaus immer mehr dazu über, die vormals zielgruppenspezifisch auf junge Fahrer oder Fahranfänger beschränkten Angebote für alle Fahrer zu öffnen. Da sich auch die Branchengrößen Allianz und HUK-Coburg zu diesem Schritt entschlossen haben, dürfte dies kurz- bis mittelfristig zu einem deutlich anziehenden Vertragswachstum im Telematikbereich führen.
Zwar werden die Tarife in Relation zur Gesamtzahl der versicherten Risiken noch für das nächste Jahrzehnt nicht über den Status eines Nischenangebotes hinauskommen, die hohe Beliebtheit gerade bei jungen Kunden oder vermeintlich vorsichtigen Fahrern dürfte das Thema jedoch sukzessive in die Bestände wachsen lassen. Auch dürfte die Aussicht auf (mögliche) Rabatte bei den generell preissensiblen Kfz-Kunden für eine gewisse Nachfrage in allen Altersklassen sorgen.
Mittelfristig werden mit Sicherheit auch externe Faktoren, wie zum Beispiel die Witterung oder der Allgemeinzustand des Fahrers Berücksichtigung bei der Beurteilung des Fahrstils finden und die Möglichkeiten zur Prämiendifferenzierung nochmals erweitern. Aktuelle Bemühungen zum Aufbau von übergreifenden Telematik-Datenpools bieten insbesondere auch kleineren und mittleren Versicherern, die bisher die hohen Investitionskosten in eine eigene Telematikinfrastruktur gescheut haben, die Möglichkeit zum Markteinstieg. Die Anzahl der Anbieter könnte dadurch wieder steigen.
Trotz der Herausforderungen auf Kunden- und Unternehmensseite bieten Telematiktarife in der Kfz-Versicherung ein Differenzierungs- und damit Marktpotenzial, was sich mittelfristig in steigenden Vertragsstückzahlen zeigen dürfte. Bis 2028 erscheint ein Bestand von marktweit über zwei Millionen Policen als durchaus realistisch.
Autor: Dennis Wittkamp (Senior-Analyst Assekurata Rating-Agentur GmbH)