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© 2021 Assekurata

Grundfähigkeit: „Zeit, die Bedingungen tatsächlich objektivierbar transparent zu gestalten“

Assekurata: In Ihrem Artikel in unserem Blog beschreiben Sie, auf was Vermittler bei der Grundfähigkeitsversicherung achten müssen. Können Sie das konkretisieren, wo Sie vertrieblich die besten Ansätze für die Grundfähigkeitsversicherung sehen?

Philip Wenzel: Sehr gerne. In dem Artikel wollte ich den Leser da abholen, wo er in der Regel bei diesem Thema steht. Da sich viele Berufsgruppen die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht mehr oder nur noch unter finanziellen Schmerzen leisten können, wollen Versicherer das Produkt nämlich unbedingt als Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung platzieren. Das klappt aber nur unter dem im Artikel beschriebenen Aufwand, die versicherten Grundfähigkeiten über die tatsächliche Tätigkeitsbeschreibung zu legen und so die Schnittmenge zu definieren.

Tatsächlich gibt es aber drei Ansätze, die dem Produkt gerechter werden. Das wäre die Freizeit-Versicherung, das Schmerzensgeld und die freie Krankenversicherung.

Am einfachsten ist das Schmerzensgeld erklärt. Wenn ich eine in den Bedingungen beschriebene Grundfähigkeit verloren habe, dann ist das, platt gesagt, sicher ziemlich nervig. Angenommen, ich kann keine 400 Meter mehr am Stück laufen. Das wird mich im Alltag nicht großartig einschränken. Es ließe sich wahrscheinlich sogar ziemlich gut vermeiden, 400 Meter am Stück zu gehen. Trotzdem ist es sicher nicht angenehm und vielleicht auch tatsächlich mit Schmerzen verbunden. Bekomme ich für diese Einschränkung dann monatlich 500 Euro, dann lässt es sich sicherlich leichter ertragen.

Assekurata: Das ist vielleicht ein vertrieblicher Ansatz, aber das geht ja am eigentlichen Zweck einer Versicherung vorbei. Mir entsteht doch dadurch grundsätzlich kein finanzieller Bedarf.

Philip Wenzel: Das ist richtig. Aber als ich angefangen habe zu hinterfragen, wozu eine Grundfähigkeitsversicherung gut sein könnte, war das ein erster Ansatz für mich. Darauf baut dann der Vertriebsansatz der Freizeitabsicherung auf. Angenommen, ich kann nicht mehr heben und tragen oder keine Schraube mehr in die Wand drehen, dann werde ich auch für andere fein- und grobmotorische Abläufe von Arm und Hand Hilfe benötigen. Dies kann auch mit einem unmittelbaren finanziellen Schaden einhergehen. Denn ich kann vielleicht noch genauso arbeiten und Geld verdienen wie vor der gesundheitlichen Einschränkung, aber ich habe zusätzliche Ausgaben, weil ich immer jemanden rufen muss, wenn ein Schrank aufgebaut oder der Rasen gemäht werden muss.

Assekurata: Das wäre dann eine Ergänzung der Arbeitskraftabsicherung zum Beispiel bei Akademikern, die Haus und Garten haben. Und wie ist die Grundfähigkeitsversicherung als eine „freie Krankenversicherung“ zu verstehen, wie Sie das nennen?

Philip Wenzel: Hier war mein Gedanke, dass die Grundfähigkeitsversicherung ja der Dread Disease sehr ähnlich ist. Der Unterschied besteht in der monatlichen Rente, und dass nicht die Krankheit der Auslöser ist, sondern die gesundheitliche Einschränkung aufgrund der Erkrankung, eines Unfalls oder der Kombination von beidem.

Die gesundheitlichen Einschränkungen müssen entweder behandelt oder durch Hilfsmittel kompensiert werden. Die private Krankenversicherung wirbt ja damit, dass ich Zugriff auf die modernsten Heil- und Hilfsmittel habe. Wenn ich monatlich 1.000 oder 2.000 Euro aus der Grundfähigkeitsversicherung bekomme, dann kann ich damit machen was ich will. Ich muss niemanden fragen, ob die Behandlung oder das Hilfsmittel versichert sind. Ich kann es mir einfach kaufen.

Assekurata: Aber wäre da nicht eine Dread Disease besser, die mir bei Eintritt der Krankheit einmalig viel Geld zahlt statt einer monatlichen Rente?

Philip Wenzel: Ja, irgendwie hat das auch was für sich. Aber eine monatliche Zahlung ist bis 67 bezahlbar zu kalkulieren, während eine feste Summe immer teurer wird, je länger ich sie versichere. Ist ja auch logisch, weil ich theoretisch auch am letzten Tag der Versicherungsdauer im Leistungsfall Anspruch auf die volle Summe habe.

Sollte ich aber einmalig viel Geld benötigen, dann könnte ich mit der Rente zumindest heutzutage einfach einen Kredit bedienen. Die ursprüngliche Vorstellung, dass ich die Einmalzahlung einer Dread Disease so anlegen könnte, dass ich von den Zinsen lebe, ist heute obsolet. Aber umgekehrt kann es eben klappen.

Assekurata: Herr Wenzel, glauben Sie, dass sich diese vertrieblichen Ansätze gegen den unermüdlichen Wunsch der Vermittler, endlich eine Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung für handwerkliche Berufe gefunden zu haben, durchsetzen kann?

Philip Wenzel: Da bin ich realistisch genug, dass wenigstens die Hälfte aller Vermittler nicht tief genug in die Bedingungen sieht, um differenziert zu prüfen, wie und unter welchen Umständen die Grundfähigkeitsversicherung geeignet ist, mein Einkommen oder meine Ausgaben bei Berufsunfähigkeit zu decken. Wahrscheinlich folgen die meisten den Prospekten und bieten die Grundfähigkeitsversicherung immer da an, wo die Berufsunfähigkeitsversicherung zu teuer ist.

Ich kann ja auch verstehen, dass sich die Vermittler und Kunden nach einer bezahlbaren Alternative sehnen. Aber die Grundfähigkeitsversicherung in der jetzigen Form muss noch um einiges transparenter werden, um tatsächlich auch das Einkommen in Teilen nachvollziehbar abzusichern.

Assekurata: Aber gerade mit der Transparenz werben doch die Versicherer.

Philip Wenzel: In einem Gedicht schrieb Kafka mal, dass Baumstämme im Schnee aussehen, als könne man sie einfach wegschieben. Dabei sind sie fest mit dem Boden verwurzelt. Das Gedicht endet, zumindest in meiner Erinnerung, mit den Worten: „Aber siehe, selbst das ist nur scheinbar!“
Die vermeintliche Transparenz besteht darin, dass jeder eine Vorstellung davon hat, was es bedeutet, eine Schraube in die Wand zu drehen. Allerdings ist es fraglich, ob sich diese Vorstellungen miteinander decken und ob der Versicherer sich das nicht anders vorgestellt hat.

Sehr prominent ist in den Versicherungsbedingungen das Beispiel mit dem Wasserhahn, der auf und zu gedreht werden sollte. Es gibt aber sehr viele verschiedene Formen von Wasserhähnen. Welcher ist gemeint? Mittlerweile taucht der Wasserhahn nicht mehr auf. Es lässt sich also noch was bewegen in der Grundfähigkeitsversicherung. Es ist noch nichts in Stein gemeißelt. Deswegen wäre jetzt die richtige Zeit, um das Produkt vertrieblich zielgerichtet und zweckmäßig aufzusetzen und die Bedingungen tatsächlich objektivierbar transparent zu gestalten.

Philip Wenzel ist Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK) und als Versicherungsmakler (BSC|Die Finanzberater) tätig, er verantwortet in der SCALA Finanzgruppe den Bereich biometrische Risiken.

Mit mehreren Artikeln, Dossiers und Büchern hat er sich innerhalb der Branche einen Namen als BU-Experte gemacht. Besonders die Kombination verschiedener Produkte und die Konzentration auf die Ausgaben des Kunden sind sein Markenzeichen.

Seit 2020 ist er mitverantwortlich für Worksurance.de, einem Infoportal für Endkunden, das ähnlich wie Wikipedia aufgebaut ist. Alle Experten am Markt sollen hier ihr Know-how im Sinne des Kunden bündeln.

Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Kemnath in der Oberpfalz.

Autor: Philip Wenzel (Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK) und Versicherungsmakler)